Geschichte der Röm.-kath. Kirchgemeinde Thun
Meilensteine der Geschichte
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Archivbilder
125 Jahre Römisch-katholische Kirche Thun
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Vorgeschichte
Im Herbst des Jahres 1528 war im Berner Oberland - zum Teil mit Waffengewalt - die Reformation eingeführt worden. Es sollten an die 300 Jahre vergehen, bis in dieser Gegend wieder katholischer Gottesdienst gefeiert werden konnte. Möglicherweise fand dies schon 1798 zur Zeit der Helvetik statt, doch gibt es keine zuverlässigen Nachrichten darüber. Sicher dagegen ist, dass nach der Gründung der eidgenössischen Militärschule in Thun von 1819 an für die Absolventen der Schule im Chor der Scherzligkirche die hl. Messe durch Militärgeistliche gelesen wurde; der Berner Pfarrer J. Emil Nünlist weiss in seiner 1940 veröffentlichten Schrift «Die katholische Kirche im Bernbiet» zu berichten, dass Hauptmann Dufour, der spätere General, «seinen Offizieren ein gutes Beispiel gab, indem er selber in Thun regelmässig und pünktlich den Gottesdienst seiner Konfession besuchte.»
Zwar hatte Bischof Eugenius Lachat schon am 3. Juli 1865 persönlich in Thun eine hl. Messe gefeiert und seither im Sommer alle zwei Wochen einen Priester aus Solothurn zur Seelsorge hierhin geschickt. Die hier ansässigen Katholiken spürten aber immer stärker das Bedürfnis, regelmässigen Gottesdienst durch einen ständig anwesenden Geistlichen zu haben. Auf Initiative einer Laiengruppe unter dem aus Solothurn zugewanderten Arzt Dr. Hänggi wurde auf den Mittwoch, 16. August 1865, eine Versammlung der Katholiken von Thun und Umgebung in das Restaurant Falken eingeladen; beschlossen wurde die Einsetzung eines Ausschusses, der an den bernischen Regierungsrat und den Bundesrat gelangen sollte, mit der Bitte, einen Beitrag zu leisten an die «nicht unbedeutenden Auslagen zur Ausübung des katholischen Cultus».
Zugleich konstituierte sich die Versammlung als katholische Gemeinde und informierte auch den Diözesanbischof, der schon vorher in dieser Sache bbefragt worden war. Ein erstes Gesuch des Vorstandes an den Regierungsrat wurde abschlägig beschieden, obwohl das beigelegte Verzeichnis zirka 300 Konfessionsangehörige, darunter 23 Familien mit Kindern, nannte und zudem auf den zunehmenden Fremdenverkehr, die Militärschulen und die Entstehung industrieller und militärischer Etablissements hinwies. Unverdrossen wurde aber weiter auf offiziellen und privaten Kanälen versucht, wenigstens im Sommer regelmässigen Gottesdienst und Religionsunterricht für die Kinder zu erhalten.
Die Protokolle der Versammlungen und Vorstandssitzungen jener Zeit sind beeindruckende Dokumente dafür, mit welch riesigen Schwierigkeiten die kleine Schar der Katholiken zu kämpfen hatte, und zugleich auch, mit welcher Zähigkeit am einmal vorgesehenen Ziel festgehalten wurde.
Dauernd plagten Geldsorgen die Verantwortlichen, immer wieder gab es Probleme mit den Lokalitäten, weil die Einwohnergemeinde Strättligen als Eigentümerin der Scherzligkirche sich nicht immer nur als kooperativ erwies. Interessant ist die Beobachtung, dass offenbar schon damals recht viele italienische Fremdarbeiter in Thun anzutreffen waren, die wohl beim Bau von militärischen Anlagen und Industriegebäuden beschäftigt wurden - das Verzeichnis von 1866 nennt jedenfalls neben den 231 Niedergelassenen auch 77 Aufenthalter meist italienischer Nationalität.
Im Dezember 1871 wurde anlässlich der Hauptversammlung der katholischen Genossenschaft im Rathaus Thun «Aufschluss verlangt über das plötzliche Erscheinen eines Geistlichen», auch war die Rede davon, dass «der Hochw. Bischof geneigt wäre, in Thun eine Pfarrei zu stiften», und «Dr. Hänggi den Bau einer Kapelle befürworte». Der Gemeinderat von Thun hatte zudem für den Gottesdienst sein Sitzungszimmer zur Verfügung gestellt und zeigte sich willens, eventuell den Platz für eine Kirche unentgeltlich zu beschaffen. Diese Nachrichten und Ereignisse beflügelten offenbar die Katholiken, und am 24. März 1872 war es endlich soweit: Die «Katholische Genossenschaft von Thun und Umgebung» gab sich vom Regierungsrat genehmigte Statuten; als ständiger Geistlicher amtierte August Sottaz aus ViIlaz-St. Pierre FR, vorher Vikar in Bern unter Pfarrer Perroulaz.
Noch immer aber gab es die alten Probleme: Geldmangel, obwohl die «Innere Missionsgesellschaft» (die spätere Inländische Mission) mit Beiträgen half, Suche nach einem geeigneten Gottesdienstlokal; auch die interne Organisation der Genossenschaft und ihres Vorstandes funktionierte nicht immer reibungslos.
Unterdessen hatte das Erste Vatikanische Konzil 1870 neben anderen Beschlüssen die Unfehlbarkeit des Papstes zum Dogma erklärt, die umfassende Jurisdiktionsgewalt des Bischofs von Rom verkündet und damit die Abspaltung der altkatholischen Gemeinschaft ausgelöst. Im Kanton Bern brach mit besonderer Heftigkeit der Kulturkampf aus, der zur Absetzung von Bischof Lachat, zur Verhaftung von Pfarrer Perroulaz in Bern und zur Vertreibung vieler romtreuer Priester (besonders im Jura) führte und auch der jungen katholischen Gemeinde in Thun im Jahre 1874 ein abruptes Ende brachte. Der gleiche Dr. Hänggi, der führend am Aufbau der Genossenschaft beteiligt gewesen war, verfasste zusammen mit dem ebenfalls bedeutenden Vorstandsmitglied J. Bochsler einen Aufruf an die «verehrtesten Glaubensgenossen», sich dem neu gegründeten «Schweizerischen Verein freisinniger Katholiken» anzuschliessen. Mit den Unterschriften von 43 Mitgliedern der Genossenschaft versehen, bedeutete diese Verlautbarung praktisch den Übertritt der ganzen Gemeinde zur staatlich geförderten christkatholischen Kirche, was dann am 14. Februar 1875 auch formell beschlossen wurde.
Eine etwas undurchsichtige und ungeklärte Rolle spielte dabei der Abbe Sottaz, von dem es nur heisst, er habe den Gottesdienst – wohl schon im Frühjahr 1873 -eingestellt! Bekannt ist auch, dass im gleichen Sommer 1873 - ein eifriger Verfechter der altkatholischen Richtung, Josef Bühlmann, in Thun wirkte; er ist 1880 mit einer öffentlichen Erklärung reumütig in den Schoss der römisch-katholischen Kirche zurückgekehrt!
Kirchenbau und Pfarreigründung
Als im Jahre 1876 in Bern der neue Pfarrer (und spätere Bischof) Jakob Stammler sein schweres Amt antrat, sorgte er neben der unermüdlichen Tätigkeit in seiner grossen Pfarrei auch noch dafür, dass in Thun vom Sommer 1877 an wieder regelmässig die hl. Messe gefeiert wurde. Vermutlich waren es dieselben Gründe, die schon 1865 zur Sammlung der Glaubensgenossen geführt hatten, die auch diesmal wieder den Zusammenschluss der Thuner Katholiken förderten: Zuwanderung von Arbeitern, Aufschwung des Fremdenverkehrs, und natürlich auch die stärkere Belegung der Militärschulen.
Pfarrer Stammler konnte jedenfalls im Juli 1887 zu einer Gründungssitzung des «Vereins für den Bau einer römisch-katholischen Kirche in Thun» einladen, zu der neben dem Vikar C. Platzer aus Bern, der den Gottesdienst in Thun besorgte, auch der Sekretär der königlich bayrischen Gesandtschaft, Graf Montgelas, der bernische Stadtarchitekt Hugo von Linden, Herr Charles Staehle vom Thunerhof und Rudolf von Reding vom Eichbühl in Hilterfingen erschienen.
Pfarrer Stammler hatte gleich schon 500 Franken aus einer Hauskollekte mitgebracht, und die Herren konnten auch zwischen zwei Bauplätzen auswählen: einer lag in der Weidenau, dem heutigen Inseli beim Bahnhof, der andere auf der Thunerhofbesitzung; die Stadt Thun hatte sie gratis offeriert zur Erstellung einer römisch-katholischen Kirche nebst Pfarrhaus! Als Architekt wurde H.V. von Segesser-Crivelli in Luzern bezeichnet, der eine Kirche mit 200 Sitzplätzen planen sollte.
Am 23. Februar 1888 wurde dann ein Schenkungsvertrag mit der Einwohnergemeinde Thun unterzeichnet, durch den dem Verein eine Parzelle von 1480 m2 im Norden der Thunerhofdomaine in der Hofstetten überlassen wurde; innert vier Jahren - so die Bedingung - musste eine Kirche unter Dach gebracht werden. Mit grossem Eifer ging man ans Planen, Bauen und Sammeln von Geld, und am 17. Juli 1892 schon konnte die erste katholische Kirche Thuns seit der Reformation benediziert (für den Gottesdienst in Gebrauch genommen) und am 22. August 1893 von Bischof Leonard Haas feierlich konsekriert werden. Eine Woche zuvor hatte ein Damenkomitee noch einen grossen Basar zugunsten des Kirchenbaus durchgeführt, denn die offene Schuld betrug immer noch über 25'000 Franken. Den endgültigen Schritt zur Pfarreigründung brachte dann die Amtseinsetzung von Pfarrer Charles Albert Cuttat am 1. Juni 1894.
Die neue Pfarrei und ihr erster Seelsorger
Pfarrer Cuttat, 1871 zum Priester geweiht, hatte als junger Seelsorger die ganze Härte des Kulturkampfes am eigenen Leib erlebt; aus seiner jurassischen Pfarrei vertrieben, musste er heimlich und in abenteuerlicher Verkleidung - ein Bild zeigt ihn als Viehhändler! - zu Taufen, Versehgängen und Messfeiern über die französische Grenze kommen. Nur auf ausdrücklichen Wunsch des Bischofs entschloss er sich, die neue Pfarrei Thun zu übernehmen. Sie umfasste das ganze Oberland (ohne Interlaken und Haslital) und reichte vom Entlebuch bis zum Waadtland und von Münsingen zu den Walliser Alpen!
Über das seelsorgerliche Wirken von Pfarrer Cuttat gibt uns ein schönes Zeugnis die Festansprache, die einer seiner Nachfolger, Pfarrer Duruz, zur 50-Jahr-Feier der Pfarrei im Jahre 1944 hielt:
«In den ersten Monaten seiner Amtstätigkeit bereiste Herr Cuttat das ganze Gebiet seiner Pfarrei, wo zerstreut etwas über 300 Katholiken lebten, und musste sich überzeugen, wie viele infolge der weiten Entfernungen von der Kirche, der Unregelmässigkeit des Gottesdienstes und des ständigen Wechsels der Seelsorger im Glauben Schaden gelitten hatten; es war deshalb sein unablässiges Bemühen, Gottesdienstgelegenheiten zu schaffen, die sowohl den Kurgästen aus den katholischen Gegenden und Ländern als auch den Einheimischen zugute kamen.»
So wurde im Bad Weissenburg eine Kapelle eingerichtet, 1898 die Kapellen von Spiez und Heustrichbad eingesegnet, und im gleichen Jahr begann der Gottesdienst in Adelboden und Lenk. 1905 erhielt auch das vielbesuchte Gurnigelbad seine Kapelle.
Erstaunt es heute nicht, dass 1914 in den Monaten Juli und August in Adelboden, Aeschi, Frutigen, Gurnigel, Heustrich, Kandersteg, Lenk, Spiez, Weissenburg und Zweisimmen jeden Tag(!) Gottesdienst abgehalten wurde?
Zum Aufbau der Pfarrei trugen die von Pfarrer Cuttat schon früh gegründeten verschiedenen Vereine bei, die das Laienapostolat pflegten, karitative Aufgaben übernahmen und gesellige Kontakte schufen. Da probten bereits am 4. Juni 1895 die drei ersten Mitglieder des Kirchenchores im Pfarrhaus, und in schneller Folge wurden ein Männerverein, Frauen- und Töchterverein sowie ein Jünglingsverein ins Leben gerufen. Der Kirchenbauverein von 1878 wurde am 23. Juni 1909 zum «Römisch-katholischen Kultusverein in Thun» umgebildet und übernahm als Eigentümer der Gebäude auch die Funktion der rechtlichen Trägerschaft der Pfarrei (die übrigens erst 1917 nach kirchlichem Recht von ihrer «Mutter», der Dreifaltigkeitskirche Bern, abgetrennt wurde).
Ein weiterer wichtiger Schritt war die Herausgabe des «Kirchenboten», der seit 1914 in ununterbrochener Folge als Pfarrblatt bis heute besteht. Die mit einer Ausnahme lückenlos vorhandenen 70 Jahrgänge sind ein überaus lebendiges Abbild der inneren und äusseren Entwicklung der Marienpfarrei Thun.
Es würde zu weit führen, hier noch mehr Einzelheiten jener Gründerzeit zu nennen: etwa die Pläne zur Vergrösserung der Kirche, den 1918 erfolgten Kauf von 6'500 m2 Land bei der heutigen Eigerturnhalle und viel anderes mehr; 1920 hatte man jedenfalls Verständnis, wenn Pfarrer Cuttat den Wunsch äusserte, im Alter von 73 Jahren nach einer unglaublichen Aufbauleistung den ruhigeren Posten eines Seelsorgers im Viktoriaspital in Bern zu übernehmen.
Für Thun war er, um nochmals Pfarrer Duruz in seiner Festansprache zu zitieren, «der Mann der Vorsehung gewesen, der durch seine angestammte Güte, seine Menschenfreundlichkeit, seinen gesunden Humor, gepaart mit unbeugsamer Energie und zielbewusstem Handeln nicht nur das pfarreiliche Leben zu begründen und zu fördern, sondern der Pfarrei auch in aussenstehenden Kreisen Ansehen und Achtung zu verschaffen verstand».
Eine Merkwürdigkeit sei noch genannt: Zwar finden sich im «Kirchenboten» immer wieder Angaben über die wachsende Zahl der Katholiken; und die Namen der Vereinsmitglieder (und der Inserenten im Pfarrblatt!) verraten eine durchaus internationale Zusammensetzung der Pfarreiangehörigen - aber nirgends ist in den Archivdokumenten (Protokollen etc.) eine Spur zu finden von den zeitweise über 4'000(!) italienischen Arbeitern mit ihren Familien, die beim Bau der Lötschbergbahn im Kandertal beschäftigt waren. Die Seelsorge dieser Fremdarbeiter war seit 1907 den Priestern des Hilfswerkes «Opera di Assistenza agli operai emigrati» des Cremoneser Bischofs Bonomelli anvertraut; Ordensschwestern der Kongregation San Giuseppe di Cuneo betreuten die Emigrantenfamilien in Schule und Krankenpflege. Dass am 10. Juli 1910 der Bischof von Novara nicht weniger als 200 Kindern die Firmung spendete, sagt einiges aus über die Grösse und Bedeutung dieser ersten «Italiener-Mission im Berner Oberland».
Vom «Eigenheim» zur Anerkennung
Konsequent führte der neue Pfarrer Alphonse Feune die Arbeit seines Vorgängers weiter: erste grosse Aufgabe wurde der Bau eines Vereinshauses, das schon Ende November 1921 als «Eigenheim» für den Religionsunterricht und die vielen anderen Pfarreianlässe in Betrieb genommen wurde. Der Kirchenchor konnte bereits sein 25-jähriges Jubiläum feiern und die beiden noch aktiven Gründungsmitglieder, Altsängerin Frl. Bucher und die Organistin, Frau Stähle-Hänggi (Tochter des Genossenschaftsgründers von 1865, Dr. Hänggi) ehren.
Im gleichen Jahr hatte der Regierungsrat des Kantons Bern beschlossen, die seit dem Kulturkampf vor fast 50 Jahren abgebrochenen vertragsmässigen Beziehungen zum Bistum Basel wieder aufzunehmen.
Erfolge und Misserfolge gab es viele zu verzeichnen. Weihnachten 1926 wurde zum ersten Male Mitternachtsmesse gefeiert und im folgenden Jahr eine bescheidene Fronleichnamsprozession auf dem Kirchenareal abgehalten. Grosse Freude bereitete die Weihe der Orgel am 19. August 1928, die «schon gebraucht, aber noch nicht alt, sehr gut erhalten, in den Dimensionen gerade passend, zu mässigem Preis zu haben war».
Pfarrer Feune erhielt zur gleichen Zeit auch den ersten Vikar, um die rund 2'200 Katholiken der Pfarrei in den ca. 90 Gemeinden des Oberlandes besser betreuen zu können. Ein weiterer Höhepunkt war die Primiz des ersten Priesters aus der Pfarrei Thun: der Redemptoristenpater Otto Helmle feierte am 26. Juli 1931 zum ersten Male die hl. Messe in seiner Heimatkirche.
Am Freitag, 13. Mai 1932, starb Pfarrer Feune völlig unerwartet im Alter von erst 48 Jahren, nur wenige Wochen nachdem sein Vorgänger, Dekan Cuttat, hochbetagt in Bern verschieden war. Der neue Pfarrer August Probst wurde am 31. Juli in sein Amt eingesetzt und musste schon nach wenigen Monaten im «Kirchenboten» die «wenig erfreuliche Entdeckung mitteilen, dass die Pfarrei ganz beträchtlich in Schulden steckt». Insgesamt 175'000 Franken lasteten auf Kirche, Bauland, Eigenheim und den Gottesdienststationen im Oberland. Und so wurde einmal mehr um freiwillige Beiträge in Form der Kultussteuer gebeten, die in diesem Jahr knapp 2'800 Franken ergab. Der grösste Teil der Ausgaben wurde durch die Inländische Mission gedeckt, die deswegen im Vorstand des Kultusvereins ein gewichtiges Wort mitzureden hatte.
Das Pfarreileben entwickelte sich weiterhin im Rahmen der Vereine. Die überpfarreilichen Anlässe in Dekanat und Kanton wurden eifrig besucht und förderten das Zusammengehörigkeitsgefühl der Diasporakatholiken. 1935 erfuhr die Pfarrei Thun erstmals eine Verkleinerung ihres Gebietes: Spiez mit den Gottesdienststationen Frutigen, Kandersteg und Adelboden wurde abgetrennt und als eigene Pfarrei dem ersten Pfarrer Cologna zur Seelsorge anvertraut. Zwei Jahre später wurde Gstaad mit Zweisimmen und der Lenk ebenfalls selbständige Pfarrei, die der damalige Thuner Vikar Vermeille übernahm. Eine letzte kleine Änderung gab es, als 1948 Konolfingen der Pfarrei Langnau angegliedert wurde.
Am 22. April 1936 bat Pfarrer Probst überraschend den Bischof um Entlassung aus dem Amt, um "in Brasilien Kolonisationsmöglichkeiten zu studieren", und Ende Jahr gab er dem bischöflichen Ordinariat in einem Brief aus Brasilien seinen Entschluss bekannt, das Priesteramt aufzugeben.
Schon im August 1936 wurde der Berner Vikar René Duruz als neuer Pfarrer in Thun eingeführt. Auch er sah sich sogleich mit den altbekannten Problemen konfrontiert: den völlig unzulänglichen Platzverhältnissen in der kleinen Kirche und dem durch die Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit noch verschärft spürbaren Geldmangel, der nur dank der Grosszügigkeit der wenigen bessergestellten Pfarreiangehörigen gemildert wurde. Stets waren Aufrufe zur Solidarität und zum Zusammenstehen der kleinen Diasporagemeinde nötig; dass zum Beispiel die katholischen Kinder an kirchlich gebotenen Feiertagen Dispens vom Schulbesuch beanspruchen konnten, musste immer wieder betont werden – viele Eltern befürchteten (und nicht nur zu Unrecht!) davon Nachteile und Unannehmlichkeiten.
Bessern sollte sich die Lage in finanzieller, aber auch psychologischer Hinsicht durch die Anerkennung der Pfarreien des alten Kantonsteiles als öffentlich-rechtliche Kirchgemeinden auf den 1. Januar 1939. Nach jahrelanger Vorarbeit einer kantonalen Anerkennungskommission, welche die aufwendige Beschaffung von statistischen Unterlagen veranlasst hatte -sogar das «Tagewerk eines Diasporageistlichen» musste eingehend geschildert werden! – konnte endlich das entsprechende Dekret vom Grossen Rat verabschiedet werden. Es brachte die Steuerhoheit der Kirchgemeinden und stufenweise (ab 1951 dann vollständig) die Übernahme der Besoldungen der Geistlichen durch den Staat. Interessant ist der §3 des Dekretes mit der Bestimmung, dass «das Vermögen der christkatholischen Kirchgemeinde durch die Bildung der römisch-katholischen Kirchgemeinden nicht berührt wird»; dies bedeutete zum Beispiel, dass für die Peter-Paul-Kirche beim Rathaus in Bern, die 1865 als erstes Gotteshaus von den Berner Katholiken gebaut und 1875 mit amtlicher Gewalt der christkatholischen Gemeinde übergeben worden war, keine Entschädigung erwartet werden durfte!
Auf den 1. Januar 1940 konstituierte sich dann die römisch-katholische Kirchgemeinde Thun mit ihren neuen Organen; ein Kirchgemeinderat unter dem Präsidenten Fürsprecher H. Galeazzi wurde gewählt und übernahm von da an die Leitung der Geschäfte, die bisher vom privaten Kultusverein geführt worden waren. 1947 wurden in einem Schenkungsvertrag die Liegenschaften und das übrige Vermögen der Pfarrei auf die Kirchgemeinde übertragen.
Nicht dass damit die finanziellen Sorgen behoben gewesen wären; es begann nun für die Kirchgemeinde das oft mühevolle Eintreiben der Kirchensteuern, wobei sich vor allem die kleinen Gemeinden mit wenigen Katholiken schwer taten; es bedurfte oft langjähriger Bemühungen, den zustehenden Anteil wenn überhaupt, noch fristgerecht zu erhalten.
Eine wohl unbeabsichtigte Wirkung der Anerkennung, die sich erst später voll zeigen sollte, war der Ausschluss der nicht stimmberechtigten ausländischen Pfarreiangehörigen vom Geschehen der Kirchgemeinde.
50-Jahr-Feier und Kirchenneubau
Der Aktivdienst während des 2. Weltkrieges brachte für den als Feldprediger tätigen Pfarrer Duruz oft lange Abwesenheiten; trotzdem förderte er unermüdlich sein grösstes Anliegen, den Bau einer neuen Kirche; alle waren sich über die Notwendigkeit einig; auch der im Januar 1937 neugeweihte Bischof Franziskus von Streng drängte bei seinem ersten Firmbesuch am 14. März darauf .
Der Stein kam richtig am 18. Oktober 1948 ins Rollen. Der Kirchenbauverein wurde gegründet, dessen Vorsitz dem neuen zweiten Vikar H. Goetschy übergeben wurde. Sehr energisch setzte sich der Vizepräsident des Kirchgemeinderates, Kanderkies-Direktor A. Schmid, dafür ein, dass nun endlich die definitive Wahl für die Anordnung der Bauten getroffen und ein brauchbares Projekt geschaffen werde; am 9. September 1949 beschloss der Rat, «das Pfarrhaus nordwestlich und die neue Kirche südöstlich an die bestehende Kirche zu bauen». Somit wurde das teure Provisorium einer Notkirche umgangen, da die alte Kirche bis zum Bezug der neuen benützt werden konnte.
Der für die Pläne und Ausführung bestimmte Architekt Dr. A. Gaudy aus Rorschach legte hierauf ein Projekt vor, das für Pfarrhaus, Kirche und Umbau der alten Kirche Gesamtkosten von 820'000 Franken aufwies. Der Finanzplan sah vor, zu den vorhandenen Eigenmitteln von ca. 350'000 Franken im Verlauf der 3- bis 5-jährigen Bauzeit weitere 200'000 Franken zusammenzubringen, so dass die vom Bistum vorgeschriebenen zwei Drittel der Bausumme gesichert schienen und die Restschuld im erträglichen Rahmen blieb.
Am 17. April 1950 genehmigte die Kirchgemeindeversammlung das Projekt und erteilte dem Rat die Vollmacht, Detailplanung und Ausführung an die Hand zu nehmen. Das war der Beginn einer gewaltigen Anstrengung, die in den nächsten Jahren bis zur Kirchweihe im Sommer 1953 die Kräfte aller Beteiligten aufs stärkste forderte. Der Kirchgemeinderat – unter Beizug der drei Geistlichen zugleich Baukommission – leitete das ganze Vorhaben und trat zu unzähligen Besprechungen, Begehungen und Vergabesitzungen zusammen; in Fronarbeit von über 130 Freiwilligen wurde 1951 der Aushub für das neue Pfarrhaus bewältigt, laufend mussten Pläne und Kosten überprüft und angepasst werden, damit der Budgetrahmen nicht überschritten wurde.
Spannungen innerhalb des Kirchgemeinderates, Probleme mit der örtlichen Bauleitung – der Thuner Architekt M. Gmür geriet in dieser seiner Funktion des öfteren zwischen Hammer und Amboss! – erleichterten die Arbeit auch nicht gerade. Der Kirchenbauverein erlebte 1951 bei einem grossangelegten Verkauf von Schokoladetalern eine herbe Ernüchterung: «Wir haben während vielen Monaten die verehrten Kirchenbesucher mit diesen süssen Goldvögeli belästigt, wir hofften vor allem auf die vielen, in prächtigen Limousinen vorfahrenden Gäste aus dem Ausland; sie haben uns enttäuscht!»
Aber der schnell einmal sichtbare Fortschritt der Bauarbeiten, der auch viel Hilfsbereitschaft der Pfarreiangehörigen und Grosszügigkeit von Spendern weckte, liess diese Schwierigkeiten überwinden; und natürlich musste bei alldem die normale Seelsorge weitergeführt werden, die immer noch in den Vereinen ihre Hauptstütze fand. Dank eifriger Arbeit der meist jungen Vikare erlebten die Jugendgruppen Blauring und Jungwacht schöne Zeiten des Aufbruchs: Scharnachmittage, Gruppenstunden und tolle Ferienlager brachten den Buben und Mädchen unvergessliche Erlebnisse.
Nach dem Bezug des neuen Pfarrhauses im Herbst 1951 wurde sogleich der Kirchenbau in Angriff genommen. Nach der Grundsteinlegung am 6. Juli 1952 konnte schon am Sonntag, 1. März 1953 die Glockenweihe gefeiert werden. Obwohl die angeschlagene Gesundheit von Pfarrer Duruz bekannt war, ahnte doch niemand, dass dies seine letzte Amtshandlung sein würde: am 23. März verstarb der eifrige Seelsorger im Alter von nur 49 Jahren, wenige Wochen vor seinem silbernen Priesterjubiläum und vor der Vollendung der Marienkirche, für die er buchstäblich seine ganze Lebenskraft eingesetzt hatte.
Der neue Pfarrer, J.A. Schmid, aus dem Fricktal gebürtig und vorher in Olten und Baden tätig, wurde nach seiner Wahl am 20. Juli 1953 schon einen Monat später, am Titularfest der Kirche Mariä Himmelfahrt in sein Amt eingesetzt.
Und 14 Tage danach, am 30. August, weihte Bischof Franziskus von Streng das neue Gotteshaus feierlich ein.
Das grösste Anliegen der Seelsorgearbeit von Pfarrer Schmid war es, die Impulse, die das 2. Vatikanische Konzil der Kirche gegeben hatte, im Pfarreileben umzusetzen. Die Erneuerung der Liturgie wurde mit viel Gespür und Behutsamkeit durchgeführt, die Mitverantwortung der Laien, in der Diaspora ohnehin selbstverständlich, in kluger Weise gefördert, die ökumenische Zusammenarbeit im Geist der Offenheit gepflegt.
Die früheren Standesvereine der Pfarreijugend, Töchterkongregation und Jungmannschaft, wurden zum Team der Jungen umgeformt; der 1971 gegründete Pfarreirat mit verschiedenen Arbeitsgruppen übernahm teilweise Aufgaben, die bisher Volksverein und Mütterverein betreut hatten. Während der Volksverein bald nach seiner 75-Jahr-Feier 1971 sich auflöste, fand die Frauen- und Müttergemeinschaft neben ihrer traditionellen Arbeit neue Tätigkeitsfelder, so zum Beispiel in der Mitwirkung bei der überkonfessionellen Frauenzentrale Thun. Der Kirchenchor als ältester Verein und die ganze Pfarrei durften sich über die neue Orgel freuen, die 1968 eingebaut wurde; bis dahin hatte noch das Instrument aus der alten Kirche mehr schlecht als recht seinen Dienst getan. Das 75-jährige Bestehen des Chores war Anlass zu einer glanzvollen kirchenmusikalischen Feier am Cäcilientag 1970.
Das schnelle Wachstum der Katholikenzahl vor allem in den Neubaugebieten im Westen der Stadt veranlasste die Kirchgemeinde, schon 1957 nach schwierigen Verhandlungen ein Grundstück an der Länggasse zu kaufen; mit einer originellen «Quadratmeter-Aktion» – Franken konnte 1 m2 gekauft und geschenkt werden – war der Kaufpreis von 145'000 Franken erstaunlich schnell bezahlt.
Von da an und vor allem nach der Neugründung des Kirchenbauvereins im Jahre 1963 standen Planung und Bau der neuen Martinkirche im Zentrum der Aktivitäten von Pfarrei und Kirchgemeinde.
Aus einem Architektenwettbewerb (dessen erste Runde übrigens der Sohn von Dr. Gaudy, dem Erbauer der Marienkirche, gewann!) ging schliesslich das Projekt der Herren Naef, Studer+Studer aus Zürich als Sieger hervor. Für 4,4 Millionen Franken wurde in zwei Jahren ein modernes Kirchenzentrum gebaut und am Auffahrtstag 1971 von Bischof Anton Hänggi eingeweiht. Zugleich wurde der bisherige Vikar Stammler als Seelsorger der neugebildeten Martinpfarrei eingesetzt, die den westlichen Teil der Stadt und die angrenzenden Gemeinden des Westamtes umfasste.
Pfarrer Schmid konnte im Herbst 1975 den umgebauten Chor und die renovierte Kirche trotz angegriffener Gesundheit selber noch einweihen und sprach dabei, wie oft zuvor, von der «bethaften Kirche, welche die Pfarrfamilie zum Gottesdienst zusammenkommen lässt»; am 17. März 1976 aber verstarb er doch unerwartet im Alter von 59 Jahren, aufgerieben von fast 23 Jahren segensreicher und unermüdlicher Tätigkeit in der Marienpfarrei.
Sein Wirken als tatkräftiger und kluger Seelsorger, sein freundliches und humorvolles Wesen bleiben allen unvergessen.
Von Burgdorf kommend, übernahm im April 1977 Pfarrer Hermann Roos die Pfarrei, die er bis zu seiner Pensionierung genau 11 Jahre mit Umsicht leitete.
Die lebendigen Pfarreileben von St. Marien und St. Martin bewirkten die beiden Ausbauten der Kirchen zu Pfarreizentren. Die beiden Thuner Architekten Käufeler + Käufeler planten den 4 Millionen teuren Bau mit dem Pfarrsaal, den Nebenräumen und dem einladenden Foyer in der Marienkirche, welcher am 15. Mai 1987 eingeweiht werden konnte.
Der 4.5 Millionen teure Erweiterungsbau, geplant vom Thuner Architekten Raymond Käufeler und unter Beisein von Ernst Studer wurde als Vollendung des Kirchenbaus gewürdigt und am 21. Mai 1998 eingeweiht.
Mit Josef Grüter, der am 1. Mai 1988 sein Amt antrat, kam er vorläufig letzte Pfarrer der jetzt hundertjährigen Pfarrgemeinde St. Marien nach Thun. Bischof und Kirchgemeinderat haben beschlossen, 1994 die Leitung der Pfarrei der Theologin Frau Pia E. Gadenz-Mathys anzuvertrauen, die seit 1989 in St. Marien als Pastoralassistentin tätig war. Darf diese Lösung auch als eine der Pioniertaten betrachtet werden, wie sie im Leben der Pfarrei in den vergangenen hundert Jahren immer wieder vorkam? Frau Gadenz stand der Pfarrei bis Ende Januar 2003 vor und hat die Geschichte der Pfarrei tatsächlich bewegt und geprägt. Als "katholische Pfarrerin" hatte sie viel Beachtung erhalten und grosse Erwartungen zu erfüllen. Nach ihrer Verabschiedung übernahm Vikar Jerko Bozic die Pfarreileitung ad interim.
In der Pfarrei St. Martin wurde nach segensreichem Wirken am 29. April 2001 Pfarrer und Domherr Alois Stammler in einem unvergesslichen Fest verabschiedet. Er hatte grosse Verdienste am lebendigen und offenen Pfarreigeist St. Martin und das Pfarreileben gleicht einer grossen Familie. Er war bei jung und alt sehr beliebt und wurde weit über die Pfarreigrenzen und vor allem auch in der reformierten Kirche gewürdigt. Er war bereit, in der Übergangszeit die priesterlichen Dienste zu übernehmen und Diakon Urs Zimmermann-Suter leitete die Pfarrei ad interim.
An Auffahrt 2002 wurde Franz Scherer als Pfarrer in St. Martin feierlich eingesetzt. Das Seelsorgeteam, die lebendige und offene Pfarreistruktur bedeuten ihm viel. Er will das Leben in Gemeinschaft weiter mit ganzer Kraft vorantreiben. Die Solidarität mit der Welt und das bewusste Vorleben ist ihm ein wichtiges Anliegen.
Im Mai 2004 übernahm Patoralassistent Peter Spinatsch die Pfarreileitung.
Vikar Jerko Bozic wurde am Marienfest 2004 feierlich von der Pfarrei verabschiedet.
Die momentane finanzielle angespannte Situation erinnert uns an die Anfänge unserer Kirchgemeinde in Thun. Wir sind jedoch zuversichtlich und eigentlich glücklich, dass wir auch mit unseren Bauten den über 11'000 Angehörigen der Kirchgemeinde religiöse Heimat bieten und im Dienste an der Freude in Jesus Christus leben können.
Bischoff Otto Wüst, schrieb zum 100-Jahr Jubiläum von St. Marien Thun im Jahr 1993: "Empfangen Sie die Gaben des Heiligen Geistes mit offenem Herzen, damit Freude, Friede, Besonnenheit, Güte, Gastfreundschaft lebendig werden können. Die Menschen in Ihrer Nähe sollen spüren, dass Ihr Leben durch die Gemeinde mit Christus sinnvoll wird." Mögen diese Worte und der kleine geschichtliche Abriss uns in der Gegenwart und auf dem Weg in die Zukunft ermutigen.
Quellenangabe: Festschrift 100 Jahre St. Marien von Herrn René Gerber.
Präsentation 125 Jahre St. Marien
Präsentation: http://hawe41.magix.net/album/alle-alben/!/oa/7532899/